Die richtigen KPI im digitalen Marketing

von am 23. Oktober 2015 verfasst


Oder: Was soll der ganze Kasperkram auf Facebook?

Jüngst stieß ich auf einen Post des geschätzten Kollegen Sven Wiesner, der sich kurz, aber pointiert, darüber ausließ, dass ausgerechnet ein Witzposting in seiner immerhin 13.000 Leute umfassenden Community von „Made in Hamburg“ am meisten Reichweite (und wahrscheinlich Interaktion) auslöste.

Post DJ Frank Sie rufen an, ich leg auf.

Der Umkehrschluss ist folgerichtig: Aufwendig recherchierte Stücke mit quasijournalistischem Anspruch, die in der Produktion ungleich teurer sind, sind offensichtlich weniger Wert als eben jenes Witzbild.

Ärgerlich, aber wahr.

Die Frage, die sich unserer Branche (ich rede hier von allen digitalen Marketeers) aufdrängt ist, ob es sich unter den Bedingungen von Facebook (und allen anderen sozialen Netzwerken) überhaupt lohnt, in Content zu investieren.

Wenn man nur auf die Reichweite schaut, sicher nicht. Willst du Reichweite, mach Kasperkram! Das ist einfach so – und wird sich auch nicht ändern.

Was will Facebook?

In Facebooks Übergangsphase von Kindergarten zu Business Lounge predigten die Firmenvertreter, so sie sich denn überhaupt äußerten, von den drei R’s, die guten Content ausmachen: Relevanz, Relevanz, Relevanz.

Sie tun es auch heute noch, wenn auch nicht mehr so offensiv.

Reduziert man das Argument „Wenn du etwas relevantes postest, wird es Interaktion auslösen“ auf seinen Kern, ist es kein Reichweitenargument mehr. Denn echte Relevanz erreicht man nur in kleinen Segmenten. Das war schon immer so. Die Spezies, die wirklich alle Artikel einer Zeitung lesen, dürfte schon immer kleiner gewesen sein als diejenige, die nur die Artikel lesen, die in die persönliche Interessensfelder passen.

Zeitungen konnten sich nur zugutehalten, in ihrer Artikelgesamtheit ungefähr in grobe Mindsets zu passen. Die taz war (ist) links, die Zeit war (ist) irgendwie sozialdemokratisch aber auch ein bisschen mainstreamig intellektuell. Die FAZ konservativ-bürgerlich und etwas mehr intellektuell.

Das passt in sozialen Netzwerken nun gar nicht, auch wenn man hier die „Filterblase“ entgegnen möchte. Ja, alle bauen sich ihre Streams so, dass im Wesentlichen das eigene Weltbild am Leben erhalten wird. Manche merken das, manche nicht. Humor, zum Beispiel, ist allerdings so universell, dass er Filterblasen durchbricht und von den meisten irgendwie für gut befunden wird. Ebenso verhält es sich mit Emotionen, die ähnlich allumfassend sind wie Trauer oder Mitleid.

Alles andere wird nur nachhaltig wahrgenommen, wenn es das individuelle Bewusstsein triggert. Und das Themensetting des Einzelnen.

Meine Auffassung von „gut“ – bezogen auf Marketing – hat deswegen erst einmal nicht mit „Reichweite“ zu tun. Sondern mit der Erreichung von Kontakten, deren Bewusstsein ich mit einem Thema so erschüttere, dass er oder sie sich bei mir im besten Fall mit Interaktion bedankt.

Warum Reichweite nicht wichtig ist

Zwei Argumente möchte ich anführen, um meine Definition von gut etwas zu untermauern. Das erste ist das „92:1-Dilemma„, das ich neulich kennenlernen durfte. Es besagt, dass bei einer Million Euro, die für die Generierung von Traffic (also Reichweite) eingesetzt wird, gleichzeitig nur rund 11.000 Euro für die Conversionoptimierung ausgegeben werden.

Ein krasses Missverhältnis. Meiner Meinung nach wird hier viel Geld verbrannt. Die Conversionsrate ist viel wichtiger als die Reichweite.

Eine meiner Lieblingsfragen auf Seminaren ist: „Wieviel Unique Visitors braucht dein Unternehmen im Monat?“ Wenn es eine Antwort gibt, lautet sie meist „viele“ oder „jeden Monat mehr als Vormonat“. Das sind beides für mich keine guten Antworten.

Theoretisch reichen ja 100 Websitebesucher. Sind diese alle Neukunden und rufen auch alle brav an (oder befüllen ihren Warenkorb), ist den meisten Unternehmen schon geholfen. 100 neue Kunden im Monat würden die Mehrheit deutscher Unternehmen geradezu euphorisieren.

Ich weiß aber aus eigener leidvoller Erfahrung, dass das graue Theorie bleibt.

Trotzdem ist der Grundgedanke dahinter fundamental richtig: Eigentlich will ich nur Leute auf meiner Homepage, die Kunde werden könnten und sehr nah an einem Kaufabschluss sind. Bezeichnend ist übrigens, dass in dieser Studie zum B2B-Online-Einkaufsverhalten das Wort „Conversion“ ziemlich exakt null mal vorkommt.

Das zweite Argument, welches ich bemühen möchte, ist der Goldfisch. Dieser hat nämlich bereits eine höhere Aufmerksamkeitsspanne als der Web Boomer. Herausgefunden hat das, Achtung: Treppenwitz, die Firma Microsoft.

Wenn dem so ist, dann bringt mir Reichweite ja nun überhaupt nichts mehr. Selbst wenn ein Konsument meine Werbung sieht, hat er nach drei Sekunden schon wieder vergessen, wer ihm die frohe Kunde der Produktinformation gebracht hat. Vielleicht auch schon, was die frohe Kunde überhaupt war.

Freunde, so geht es nicht weiter. Vergesst die Reichweite.

Auch wenn Svens Posting der Aufhänger war, meine Gedanken zum Thema mal aufzuschreiben, möchte ich diesen Blogbeitrag doch nicht als „diss“ verstanden wissen. Auch wir verzweifeln (beruflich) manchmal an den Menschen, die unseren geilen Content mit Verachtung strafen. Deswegen kann ich seinen aus dem Posting sprechenden kleinen Frust nur allzu gut verstehen.

Dieser Blog-Beitrag wurd verfasst von:

Ehemaliger

Wilko gehörte zu den ersten Kollegen bei crowdmedia. Im Sommer 2011 trafen wir uns nach unserem Umzug in einer Büro-Gemeinschaft auf der Reeperbahn. Schnell wurde er aus einer lockeren Kooperation mehr und Wilko der erste Redaktionsleiter bei crowdmedia. Alles was Blog und Newsletter bei uns angeht, steht auf einer Basis, die Wilko gelegt hat. Auch wenn das Abenteuer Reeperbahn nach nur eineinhalb Jahren endete, blieb Wilko uns bis Sommer 2016 als Kollege erhalten. Dann zog es ihn samt seiner Familie nach Schleswig, wo er als Online-Marketing-Manager bei einem mittelständischen Unternehmen tätig ist.

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